05. bis 16. Oktober 2020 in Jena.
Erziehung stellt sich in offenbar für jede Gesellschaft als unverzichtbar dar. Auch wenn die jeweiligen Idealvorstellungen und Begründungen differieren, der Erziehungszwang wird kaum in Frage gestellt. In Kontexten der Jugendhilfe wurde und wird dieser zum Teil in Zwangserziehung übersetzt – als Erziehung gedacht; von den betroffenen Kindern und Jugendlichen als Zwang und Repression erfahren.
Mit der Veranstaltungsreihe wird Zwangserziehung im Alltag von Jugendhilfe bzw. in Heimerziehung in unterschiedlichen Systemen thematisiert.
Der Schwerpunkt DDR-Jugendhilfe/Heimerziehung wird veranschaulicht anhand einer Ausstellung der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Diese wird vom 05. bis 16. Oktober im Untergeschoss der Goethe Galerie präsentiert.
Zudem geht es um die Heimerziehung der 1950er bis 1980er Jahre der BRD sowie um die kritische Auseinandersetzung mit Zwangselementen in Erziehungshilfen heute. Immer noch werden Maßnahmen und Techniken (z.B. Time-Out-Räume, starre Stufensysteme) im pädagogischen Alltag angewendet. Diese zielen vorgeblich auf Entwicklungsförderung, resultieren aber mehr oder weniger subtil in Disziplinierung und Anpassung.
Zu den verschiedenen Themen werden im Kino im Schillerhof an vier Abenden Dokumentar- und Spielfilme gezeigt, die öffentliche (Erziehungs)Maßnahmen ganz unterschiedlich aufgreifen. Dazu finden jeweils Filmgespräche mit Gästen statt.
Detaillierte Informationen zur Veranstaltungsreihe finden Sie hier im Flyer
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Tagung “Konflikte um Heimerziehung und Einschluss heute” am 4.3.2022 in Hamburg
Ein Bericht von der Tagung ist hier zu finden:
Dressur zur Mündigkeit?
Rechtsgutachten im Auftrag des Aktionsbündnisses
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Statements gegen Geschlossene Unterbringung
Dr. med. Charlotte Köttgen, Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie, Hamburg.
Erziehung kann nur in Freiheit gelingen In all den Jahren meiner langjährigen Tätigkeit in den Bereichen der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist der wiederkehrende Versuch, Jugendliche in geschlossenen Einrichtungen durch Zwang erzieherisch zu „bessern“, immer wieder gescheitert. Die schon ritualisierten Forderungen nach härteren Strafen und Einsperren dienten meistens durchsichtigem, wahlkampftaktischem Kalkül. Getrieben wurde die Politik durch die, besonders von der Boulevardpresse, geschürte Straflust und war am Ende doch gezwungen solche Einrichtungen wieder zu schließen.
Sowohl in dem sogenannten „Kinderknast Feuerberg“ in Hamburg, wie in anderen Versuchen geschlossener Unterbringungen, z.B. der „Haasenburg“ wurden Rechtsverstöße, Misshandlungen, Entweichungen und ein System der demütigenden Gewalt bekannt, deshalb mussten sie geschlossen werden, wie schon die repressiven Verwahranstalten mit ihrer 200 jährigen, unseligen Geschichte, deren, wie es hieß „elenden, menschenunwürdigen“ Bedingungen zu Unselbstständigkeit, Hospitalisierung, Apathie und Verblödung geführt hatten, statt zu Integration oder Heilung.
Hamburg ist 20 Jahre ohne eine Institution für geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe ausgekommen. Nach Auflösung der geschlossenen Heime - 1980 per Senatsbeschluss durchgesetzt - gab es über 10 Jahre repressionsfreie Heimerziehung, die nachweislich erfolgreich war, wie an Hand einiger Fakten sogar belegt werden kann: Innerhalb von 10 Jahren verringerten sich die Verurteilungen Jugendlicher um 2/3, ohne dass die Kriminalitätsrate – wie stets prophezeit wurde – anstieg. 900 Heimplätze konnten abgebaut werden, die frei gewordenen Gelder flossen in alternative Hilfen im Lebensumfeld, auf auswärtige Unterbringungen wurde weitestgehend verzichtet, dafür wurde massiv in die Qualifizierung der Sozialarbeit investiert, (Schone, 1991, Sozialsenator war Jan Ehlers).
Obwohl es nie ein Versprechen gab, Jugendkriminalität verhindern zu können, wurde gleichwohl bei jedem Skandal über Einzelfälle, die (liberale) Jugend- und Sozialhlfe als System verunglimpft: „Die Jugendhilfe hat versagt“ heißt es dann und schon nach den ersten 10 Jahren wurde versucht, wieder mehr Repression einzufordern. Zwischenzeitlich arbeitet seit fast 4 Jahren sehr erfolgreich eine Koordinierungsstelle, angesiedelt im Rahmen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die sich der extrem schwierigen Fälle annimmt, das sind traumatisierte und delinquent gewordene Jugendliche aus sozialen Problemlagen. Einige hatten sogar einen richterlichen Einweisungsbeschluss für Zwangsmaßnahmen. Ziel ist es jedoch alternative Hilfen zu entwickeln.
Es zeigte sich, dass geeignete Hilfen besonders dann wirksam sind, wenn die Einbeziehung und Mitwirkung der Betroffenen und ihrer Familien gelingt. So konnte – ganz ohne Skandale - auf Zwangsmaßnahmen in dieser Arbeit verzichtet werden. Eine so geartete Versorgungsstruktur der Erziehung ohne Zwang verdient fachpolitische Unterstützung, sie verlangt Mut und muss wieder modellhaft verbreitet werden.
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