Warum geschlossene Unterbringung der falsche Weg ist

Zwanzig Jahre lang gab es in Hamburg keine geschlossene Unterbringung für Kinder und Jugendliche. Nun hat der Senat 2003 wieder ein geschlossenes Heim geschaffen. Wir halten diesen Schritt für falsch. Geschlossene Heime verschärfen die Probleme, die sie lösen sollen. Sie sind Symbol für eine Politik der Härte gegenüber “schwierigen” Jugendlichen. Und geschlossene Heime sind teuer.

Daher unterzeichneten 47 Organisationen der Jugendhilfe eine Erklärung, um sich gegen die Wiedereinführung der geschlossenen Unterbringung auszusprechen. Das “Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung” ist aus dieser Initiative hervorgegangen. Gemeinsam streiten wir für eine humane Erziehung, die ohne Freiheitsentzug auskommt.

Freiheitsentzug verschärft die Probleme, die er lösen soll

Wer in die geschlossene Unterbringung eingewiesen wird, wird oft mehrerer Straftaten beschuldigt. Warum ist es dennoch falsch, diese Kinder und Jugendlichen einzusperren? Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zur geschlossenen Unterbringung in den letzten 20 Jahren belegen, dass Erziehung unter Verschluss die positive Entwicklung der Jugendlichen behindert. Freiheitsentzug löst die Probleme nicht, sondern konserviert oder verschärft sie. Zwang provoziert Widerstand, Unfreiheit zerstört Vertrauen. Doch ohne Vertrauen können diese Jugendlichen ihr Verhalten nicht ändern. Und warum sollten sie denen vertrauen, die sie einsperren?

Geschlossene Unterbringung ist in der Praxis gescheitert

Die Bilanz des geschlossenen Heims in Hamburg zeigt: Das Konzept des Wegsperrens geht nicht auf. Weil nur sehr wenige Jugendliche für die Unterbringung in Frage kommen, ist sie seit dem Start unterbelegt. Ständig wurden neue Mitarbeiter eingearbeitet, weil die Hälfte der Belegschaft ihre Arbeit im ersten Jahr wieder aufgegeben hat. Obwohl allein für die Sicherung des Gebäudes eine halbe Million Euro aufgewendet wurde, kam es zu einer Vielzahl von Ausbrüchen. Nachdem der Komplex mit einem fast vier Meter hohen Sicherheitszaun aufgerüstet wurde, sieht er nun auch aus wie ein Gefängnis. Nachts bewachen Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma die zwölf- bis 16-jährigen Kids. Bis heute hat die Öffentlichkeit weder Erkenntnisse über die Arbeitsweise, noch gibt es fachliche Ergebnisse über den Erfolg der Einrichtung.

Geschlossene Unterbringung ist teurer als ein Luxushotel

Mit der geschlossenen Unterbringung wird für sehr wenige Jugendliche sehr viel Geld ausgegeben. Das fehlt der Kinder- und Jugendhilfe an anderer Stelle. In den ersten acht Monaten seit dem Start kostete ein Platz in dem Hamburger Heim die Steuerzahler pro Tag rund 1.000 Euro, weil die Einrichtung nur zu einem Viertel ausgelastet war. Selbst wenn sie voll belegt ist, werden für einen Platz pro Tag und Kind circa 250 Euro fällig. So kommen im Jahr mehr als 900.000 Euro zusammen. Die Unterbringung in offenen Einrichtungen mit rund 115 Euro pro Tag und die ambulante Betreuung mit 41 Euro pro Stunde sind dagegen günstig.

Jugendhilfe darf Kinder und Jugendliche nicht “abschieben”

Mit der geschlossenen Unterbringung hat der Senat mit voller Absicht ein Symbol für einen Kurswechsel gesetzt: Besonders auffälligen Jugendlichen soll künftig nicht mehr mit Sorge, sondern allein mit Härte und Zwang begegnet werden. Das halten wir nicht für klug. Denn im Resultat profitieren nur dann alle, wenn wir den Jugendlichen mit langem Atem und Vertrauen wachsam zur Seite stehen bis sie eine neue Lebensperspektive entwickeln.

Aufgabe der Jugendhilfe ist Erziehung, nicht Bestrafung

Die geschlossene Unterbringung ist rechtlich umstritten. Die Jugendlichen kommen nicht in ein geschlossenes Heim, weil sie eine Straftat begangen haben und ein Gericht sie verurteilt hat. Sie werden eingesperrt, wenn ein Familienrichter entscheidet, dass ihr “Kindeswohl” gefährdet ist. Die Jugendhilfe sieht aber Erziehung unter geschlossenen Bedingungen nicht vor; sie soll Kinder erziehen und unterstützen, nicht bestrafen. Wenn Straftaten vorliegen, sind die Jugendgerichte und der Jugendstrafvollzug zuständig. Durch die geschlossenen Heime wird die Trennung zwischen Jugendhilfe und Justiz aufgeweicht. Das darf nicht passieren.

Das Prinzip “Erziehen statt Wegsperren” ist erfolgreich

Hamburg verfügt über ein eingespieltes System ambulanter und stationärer Hilfen, das nach dem Grundsatz “Erziehen statt Wegsperren” arbeitet. Mit Erfolg werden zurzeit rund 5.300 Jugendliche individuell betreut, unter anderem in speziellen Wohngruppen, Lebensgemeinschaften und Jugendwohnungen. Die öffentliche Debatte um die geschlossene Unterbringung betrifft hingegen nur sehr wenige besonders auffällige Jugendliche. Für sie sollte das vorhandene System optimiert werden.

Unser Vorschlag: Ein Kooperations-Pool

Erfahrene Pädagogen und Erzieher der Hamburger Jugendhilfeeinrichtungen bündeln ihr Know-how künftig in einem Kooperations-Pool. Die wenigen besonders “Schwierigen” werden hierher gemeldet, und die Expertengruppe entwickelt umgehend die passende Reaktion: Gibt es Erzieher, die schon einmal mit einem ähnlichen Fall zu tun hatten? Gibt es eine Wohneinrichtung, deren Zielsetzung auf diese Jugendlichen besonders passt? Können zwei Pädagogen aus unterschiedlichen Einrichtungen zusammengebracht werden, um für einen bestimmten Zeitraum zu kooperieren? Das bedeutet unter Umständen auch, dass ein Jugendlicher zwei Wochen rund um die Uhr nicht aus den Augen gelassen wird. Es gibt also Alternativen. Wenn wir wollen, können wir sie gleich morgen erproben. Alle 47 Organisationen, die die Erklärung gegen die Wiedereinführung der geschlossenen Unterbringung unterzeichnet haben, bieten sich als Partner für den Verzicht auf freiheitsentziehende Maßnahmen gegen Kinder und Jugendliche an.