Stellungnahme zu den Plänen des Hamburger Senats zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen

Das Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung und der Alternative Wohlfahrtsverband SOAL e.V. haben im Mai 2015 eine Stellungnahme zu den Plänen der rot-grünen Koalition in Hamburg zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen verfasst.

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Gemeinsame Stellungnahme des Alternativen Wohlfahrtsverbandes SOAL e.V. und des Aktionsbündnisses gegen Geschlossene Unterbringung zu den Plänen der rot-grünen Koalition in Hamburg zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen (so genannte „intensivpädagogische Einrichtung mit der Möglichkeit freiheitsentziehender Maßnahmen“)

Die rot-grüne Koalition in Hamburg hat sich mit dem Koalitionsvertrag auch zum Thema geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen positioniert.

Zunächst ist es zu begrüßen, dass sich die Koalitionäre darauf einigen konnten, die bisher noch wenig bekannte Koordinierungsstelle für die Umsetzung flexibler Hilfen für Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf[1] finanziell und personell zu verstärken. Die Koordinierungsstelle arbeitet seit einem guten Jahr erfolgreich an spezifischen individuellen Hilfeangeboten, indem mehrere erfahrene Jugendhilfeträger gemeinsam in die Fallberatungen einbezogen werden. Die hierdurch gegebene erfahrungsgestützte Mehrperspektivigkeit hat sich inzwischen trotz der kurzen Zeit bewährt. Mit der Gründung der Koordinierungsstelle wurde eine Idee leicht modifiziert umgesetzt, die das Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung (AGU)[2] schon seit langem in die Fachdiskussion gebracht und gefordert hatte.

SOAL und das Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung begrüßen es, wenn dieser Ansatz nun weiter entwickelt und ausgebaut werden kann.

Der Koalitionsvertrag sieht jedoch auch die Schaffung einer neuen Einrichtung für die geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen[3] in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern[4] vor. Die zunächst festgelegte Platzbegrenzung auf eine „kleine einstellige Zahl“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter immer noch die grundsätzliche Haltung steht, wonach es eine Form pädagogischer Einrichtung geben kann bzw. muss, die unter Zwang und Freiheitsentzug erfolgreich die Aufgaben des Jugendhilferechts umsetzen kann. Dies ist jedoch grundsätzlich nicht möglich. Allerdings: Sind solche Plätze tatsächlich geschaffen, wird es neben der Sogwirkung solcher Einrichtungen auch einen rein ökonomischen Druck geben, diese sehr teuren Plätze zu belegen.

SOAL und das Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung wollen weiter darauf hinwirken, die Fachöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die geschlossene Unterbringung unter Freiheitsentzug kein geeignetes Mittel der Jugendhilfe sein kann. Auch im Fall von akuter Selbst- und Fremdgefährdung und einer daraus resultierenden unvermeidlichen freiheitsentziehenden Maßnahme nach dem PsychKG muss der Grundsatz des Paragraphen 1 des Jugendhilferechts uneingeschränkt gelten. Auch und gerade in diesen Fällen muss das Recht der jungen Menschen sichergestellt werden, sie in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, ihre Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen und sie vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen. Solche Maßnahmen sind jedoch ausschließlich für Krisensituationen erforderlich, in denen der Schutz vor Selbst- und Fremdgefährdung zu gewähren ist und medizinisch-psychiatrische Hilfen geboten sind. Jugendhilfe muss dem Grundsatz der Freiwilligkeit, des Wunsch- & Wahlrechts und des erforderlichen Aufbaus von Beziehung folgen.

Aus diesem Grund bleiben SOAL und das Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung bei ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen als Jugendhilfemaßnahme.

Im Koalitionsvertrag wurde außerdem vereinbart, dass die „Aufsichtskommission für Einrichtungen mit geschlossener Unterbringung“ zukünftig bereits bei der Antragsstellung der Erziehungsberechtigten auf die Unterbringung in einer intensivpädagogischen Einrichtung mit freiheitsentziehenden Maßnahmen einbezogen werden soll. Gleichzeitig soll die Aufsichtskommission für die betroffenen Minderjährigen als Ombudsstelle fungieren. Die Mitglieder der Aufsichtskommission würden durch diese Dreifachfunktion in eine Interessenkollision gebracht werden. Sie sollen die geschlossene Einrichtung kontrollieren, an der geschlossenen Unterbringung beteiligt werden und als unparteiische Schiedsstelle (Ombudsstelle) für die Beschwerden der Jugendlichen zur Verfügung stehen. Wir halten stattdessen eine unabhängige zusätzliche Ombudsstelle für erforderlich.

Der Koalitionsvertrag sieht weiterhin vor, eine Bundesratsinitiative[5] zu starten, um Mindeststandards „für den Vollzug“ freiheitsentziehender Maßnahmen im Rahmen der Jugendhilfe zu schaffen. Allein die Wortwahl macht bereits die geistige Nähe zum Strafvollzug deutlich.

Richtig ist, dass in den geschlossenen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche nach § 1631b BGB[6] noch nicht einmal die sonst im Strafvollzug geltenden Richtlinien, Einspruchs- und Vertretungsrechte gelten. Auf diesen Umstand weist unter anderem auch das Haasenburg-Gutachten hin. Es wäre jedoch ein fataler Fehler, wie im Koalitionsvertrag vorgeschlagen, über den Bundesrat Mindeststandards für die Geschlossene Unterbringung zu definieren. Dies würde lediglich dazu beitragen, dass die geschlossene Unterbringung (GU) zu einer regelhaften Jugendhilfemaßnahme wird.

Der richtige Ansatz liegt vielmehr darin, § 1631b BGB so zu novellieren, dass nur Fälle zur Abwendung von Selbst- oder Fremdgefährdung geregelt werden. Die Aufnahme des Kindeswohls als Grund für eine GU ist zu streichen, weil sie dazu verleitet, auch ohne Selbst- und Fremdgefährdung eine GU zu veranlassen. Die Streichung der Passage „zum Wohle des Kindes“ wäre eine sehr viel wirkungsvollere Maßnahme, die dazu zwingen würde, dass die öffentliche und Freie Jugendhilfe gemeinsam neue Konzepte für flexible Hilfen für Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf entwickeln müssen.

19.05.2015

[1] „Die Koalitionspartner werden die „Koordinierungsstelle für die Umsetzung flexibler Hilfe für Kinder und Jugendliche mit komplexerem Hilfebedarf“ beim Paritätischen Wohlfahrtsverband finanziell und personell verstärken sowie zusätzliche intensivpädagogische Betreuungsangebote für Minderjährige gemeinsam mit freien Trägern der Jugendhilfe in Hamburg schaffen. Die Koordinierungsstelle soll dazu beitragen, stationäre Unterbringung in Verbindung mit freiheitsentziehenden Maßnahmen zu vermeiden.“ (Koalitionsvertrag S. 75)

[2] https://www.geschlossene-unterbringung.de/wp-content/uploads/2014/11/Verfahrensvorschlag_Kooperationspool-zur-Vermeidung-von-Geschlossener-Unterbringung_aktuell_TL.pdf

[3] „Hamburg führt darüber hinaus Gespräche zur Beteiligung (mit kleiner einstelliger Platzzahl) an der Errichtung einer intensivpädagogischen Einrichtung mit der Möglichkeit freiheitsentziehender Maßnahmen mit anderen Bundesländern. Die Hamburger Kinder- und Jugendhilfe wird diese Hilfeform als Ultima Ratio für die kleine Gruppe, bei der andere Hilfeformen gescheitert sind und die einen familiengerichtlichen Beschluss zur Unterbringung mit Freiheitsentzug haben, vorsehen. Die Unterbringung in einer derartigen Einrichtung kommt dabei nur in Betracht, wenn
– eine Hilfeplanung vorliegt, aus der hervorgeht, dass es keine andere geeignete Hilfe gibt,
– die Bestellung eines Verfahrensbeistandes (Rechtsanwalt/Rechtsanwältin) für die/den Minderjährige/n erfolgt,
– ein kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten und
– der Beschluss eines Familiengerichtes vorliegt.“
(Koalitionsvertrag S. 75/76)

[4] Gemäß dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) gibt es derzeit bundesweit 28 Einrichtungen mit der Möglichkeit der geschlossenen Unterbringung nach § 1631b BGB. Diese verfügen über bundesweit insgesamt: 338 Plätze, davon für Jungen: 175, für Mädchen: 107, koedukativ: 56.

[5] „Der Senat wird sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative dafür einsetzen, Mindeststandards für den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen nach §1631 BGB im Rahmen der Jugendhilfe bundesgesetzlich zu definieren.“ (Koalitionsvertrag S. 76)

[6] § 1631 b BGB, Mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung: Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

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