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Prozess Skandal in Haasenburg-Heimen

Posted on 10. Juni 2018

1.500 Euro für ein kaputtes Gelenk

Die Misshandlungen in den Haasenburg-Heimen hatten strafrechtlich kaum Folgen. Jetzt endet ein Prozess mit einem einfachen Deal.

BERLIN taz | Wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen mussten sich am Donnerstag ein 55-jähriger Exbetreuer der Haasenburg-Heime und sein 50-jähriger Kollege vor dem Amtsgericht Strausberg verantworten. Ihnen wurde vorgeworfen, im Jahr 2011 den damals 16-jährigen Jugendlichen G. am ersten Tag seines Aufenthalts im Heim Müncheberg in seinem Zimmer mit schmerzhaften Hebelgriffen an den Händen festgehalten zu haben. Dabei soll er in Ohnmacht gefallen sein. Außerdem soll sein Handgelenk dauerhaft geschädigt sein.

Der Prozess wurde nach vier Stunden Verhandlung vorläufig eingestellt. Voraussetzung ist, dass die beiden Angeklagten an das Opfer je 750 Euro zahlen. „Der Vorfall war 2011. Das Verfahren ist für alle sehr belastend“, sagte Richterin Susanne Cramer. Für ein Urteil hätte man weitere Beweise erheben und das Verfahren nicht an diesem Tag beenden können.

Vier Jahre ist es her, dass die Haasenburg-Heime in Brandenburg durch die Landesregierung geschlossen wurden. Grundlage war der Bericht einer Untersuchungskommission. In den Heimen seien „Willkür und Bestrafung unzulässig ausgeprägt“, sagte der Kommissionsvorsitzende Martin Hoffmann damals.

Parallel gab es bei der Staatsanwaltschaft 55 Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 85 beschuldigte Betreuer. Doch der größte Teil wurde inzwischen eingestellt. Der einzige andere Fall, der wegen dem Einsatz körperlicher Gewalt vor Gericht kam, endete im März 2015 mit Freispruch.

Allerdings war damals das mutmaßliche Opfer ohne Anwalt im Gerichtssaal. Das war am Donnerstag in Strausberg anders. Der inzwischen 21-jährige G. wurde durch Anwalt Joachim Herrmann aus Berlin vertreten. Außerdem wurde ein ehemaliger Bewohner als Zeuge geladen.

Grund: Blick aus dem Fenster

Auslöser für die Maßnahme im Heim war laut Anklage, dass der Junge während der Bearbeitung von Aufgaben aus dem Fenster schaute, weinte und nach Aufforderung durch den Betreuer nicht mit ihm sprechen wollte. Der zweite Angeklagte und ein unbekannter Dritter sollen den Jungen etwa 40 Minuten an beiden Armen festgehalten und so viel Kraft auf den Geschädigten ausgeübt haben, dass dieser vor Schmerzen schrie und weinte und wegen des Schleims in Mund und Nase keine Atemluft bekam.

Zudem existiert ein Protokoll, dass der Junge selbst am Tattag schrieb. In dem Dokument hat er den Vorgang einschließlich der schmerzenden Handgriffe beschrieben. Er habe nichts gemacht, was diese Handlung rechtfertige, schrieb G. damals. Er habe nur aus dem Fenster geguckt, obwohl Betreuer J. ihn aufgefordert habe, sich umzudrehen. „Das kann doch kein Grund sein, die Handgelenke so zu verdrehen.“

G. wiederholte die Schilderung vor Gericht. „Die haben alle fünf Minuten gefragt, ob ich mit ihm sprechen kann. Ich habe mit dem Kopf geschüttelt“, sagte er mit sehr leiser Stimme. Dann hätten die Betreuer jeweils den Druck erhöht. „Die Schmerzen waren so stark, dass ich ohnmächtig geworden war.“ Er demonstrierte dem Gericht im Stehen an Armen und Beinen seines Anwalts, wie die Betreuer ihm die Gelenke umbogen.

Der junge Mann wurde 2012 aus dem Heim entlassen. Die Hände seinen danach immer dicker geworden. Als er später ein Praktikum bei einem Gerüstbauer machte, wurden die Probleme so deutlich, dass er sich 2015 in ärztliche Behandlung. Die Hände wurden operiert und zuvor untersucht. Der Spezialist stellte zwei Rissverletzungen an Gelenkkapsel und Gelenkknorpel fest.

Erinnerungslücken

Die beiden Angeklagten sagten, sie könnten sich an den Vorfall nicht erinnern. Es gibt jedoch ein Protokoll des Betreuers B., aus dem hervorgeht, dass der Junge an besagtem Tag in seinem Zimmer „stehend begleitet“ wurde. Es sei bei dem Jungen eine rein verbale Grenzsetzung erfolgt. Er sollte sich umdrehen, um ein Gespräch zu ermöglichen. Die Handgriffe seien demnach gar nicht angewandt worden.

Die Strategie der Verteidigung war es, die Glaubwürdigkeit des Zeugen infrage zu stellen. Auch die Staatsanwältin fragte den jungen Mann peinlich nach seinem Lebenslauf. Immerhin warf die Richterin kurz ein, dass der Zeuge im Saal nicht der Angeklagte sei. Anwalt Jens Hennersdorf duzte gar den Opferzeugen, was ihm einen Rüffel der Nebenkläger einbrachte.

Nach einem Rechtsgespräch einigten sich die Verfahrensbeteiligten am Nachmittag auf einen Handel. Das Opfer bekommt 1.500 Euro Schmerzensgeld. Dafür wird das Verfahren eingestellt. „Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“, sagte Anwalt Herrmann.

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Statements gegen geschlossene Unterbringung

Prof. Dr. phil. Werner Thole
Prof. Dr. phil. em. Werner Thole (Universität Kassel):

Dass Kinder und Jugendliche, die in ihren Herkunftsfamilien keine guten Bedingungen der Sozialisation erleben können, die Möglichkeit erhalten, temporär oder langfristig in „öffentlicher Verantwortung“ aufzuwachsen und zu leben, stellt eine Errungenschaft moderner Gesellschaften dar. Die Gesellschaft übernimmt damit die Verpflichtung, den Heranwachsenden einen Lebensort bereit zu stellen, der es ihnen ermöglicht, ihre biografischen Wege zu bewältigen und zu gestalten, mit Zukunftsoptionen zu experimentieren, ohne sich selbst oder andere zu verletzen. Dies Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, stellt hohe und komplexe Anforderungen an die vielfältigen Formate der stationären Hilfen der Erziehung und an die dort beruflich engagierten Pädagog_innen.
Institutionen wie Pädagog_innen haben täglich die Möglichkeiten und Grenzen der Hilfen, der Erziehung und Bildungsarrangements in öffentlicher Verantwortung neu auszubalancieren. Das kann gelingen, aber auch scheitern, weil die Kinder und Jugendlichen ihre Ideen vom Leben in diesen Arrangements meinen nicht verwirklichen zu können oder die Institutionen und Pädagog_innen ihre Angebote und Interventionen nicht sensibel, souverän und für die Heranwachsenden akzeptabel realisieren. Auf dieses Scheitern mit dem Entzug der Freiheit zu reagieren, Kinder und Jugendlichen in geschlossene Einrichtungen einzuschließen, bedeutet, darauf zu verzichten, sich den Herausforderung von Erziehung zu stellen, bedeutet, Kindern und Jugendlichen die Chance zu entziehen, Mündigkeit und Selbstverantwortung zu lernen. Arrangements der geschlossenen Unterbringung und des Freiheitsentzugs ermöglichen strukturell nicht das Erleben und experimentelle Erlernen von solidarischer Freiheit.

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