Keine geschlossene Unterbringung von (Hamburger) Kindern und Jugendlichen in der Haasenburg und auch nicht anderswo!
Bereits zwei Mal hat Hamburg in den vergangenen 30 Jahren seine eigene geschlossene Unterbringung für Kinder und Jugendliche beendet. Im Jahre 1980 wurden im Zuge der Heimreform die geschlossenen Hamburger Heime insgesamt geschlossen. Das hielt bis zum Jahr 2002, als eine neue Regierung die Wiedereinführung diskutierte und im Jahr 2003 schließlich umsetzte. Diese Einrichtung in der Feuerbergstraße wurde nach fünf Jahren 2008 geschlossen: zu teuer, zu wenige Erfolge, aber vor allem, zu viel politische Unruhe. Und es wurde politisch ruhiger, das wohl. Aber diese zweite Abschaffung führte, wie schon die erste, lediglich zu einer Verlagerung der Geschlossenen Unterbringung in andere Bundesländer. Es wurden vermutlich nicht mehr, aber auch nicht weniger Hamburger Kinder und Jugendliche geschlossen untergebracht. Durch die TAZ. die tageszeitung Nord und die parlamentarischen Anfragen der Grünen und der Linken wurde diese verschämte und heimliche Praxis erneut in den (fach)politischen und öffentlichen Diskurs getragen. Derzeit (März 2013) sind 15 Kinder und Jugendliche aus Hamburg in der Haasenburg untergebracht, einer Geschlossenen Unterbringung in Brandenburg.
Zwar hat es seit Abschaffung der geschlossenen Heimerziehung in den achtziger Jahren unter der fachlichen Leitlinie der Lebensweltorientierung viele erfolgreiche Versuche gegeben, mit den besonders Schwierigen ohne Geschlossene Heime umzugehen. Und dieser Verzicht auf die Geschlossenen Heime wird sinnvoll damit begründet, dass ein Abgleiten dieser Einrichtungen in autoritäre Asyle fast unvermeidlich erscheint, selbst, wenn ihre Protagonisten das nicht beabsichtigt haben. Die jetzt bekannt gewordenen repressiven und autoritären Zustände und Umstände in der Haasenburg zeigen das erneut. Und sie erinnern deutlich an die erst vor wenigen Jahren zu Recht skandalisierte Heimerziehung der 1950er und 60er (Wensierski 2006) , die – anders als die aktuellen Formen der Einsperrung – heute öffentlich, fachlich und politisch durchweg als menschenunwürdig verurteilt werden. Und auch ein Vergleich mit den geschlossenen Heimen in der DDR oder in Österreich drängt sich leider auf: auch diese Einrichtungen werden heute völlig zu Recht als unmenschlich und unwürdig beurteilt.
Alle diese Einrichtungen eint, so unterschiedlich sie im einzelnen sein mögen, dass Merkmal Totaler Institutionen: systematische Demütigung der Individuen, Angriffe auf das Selbst, Entzug von und Verstoß gegen Grundrechte sowie die totale Unterordnung und Gehorsam sind ihr Kernmerkmal (Goffman). Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und die Totalität des Einschlusses wird nicht dadurch durchbrochen, dass es nicht mehr geschlossene Unterbringung heißt, sondern Freiheitsentziehende Maßnahmen und aus dem Karzer und der Isolationszelle der Time-Out-Raum oder der Besinnungsraum wird.
Trotzdem: Die Rückkehr der Heime für die als besonders gefährlich Bezeichneten ist bundesweit auf dem Vormarsch, wie etwa die Studie aus 2006 von Hoops und Permien vor Augen geführt hat. Sie steht auch im Kontext der bundesweiten Zunahme der Einsperrung von Kindern und Jugendlichen als Hilfe zur Erziehung sowie deren politischer wie auch fachlicher Akzeptanz. Waren 1996 bundesweit noch 122 Kinder und Jugendliche geschlossen untergebracht, sind es 2012 bereits 389:
Damit ist das Wegsperren zwar quantitativ immer noch eine Randerscheinung in der Erziehungshilfe, seine qualitative Bedeutung geht jedoch weit darüber hinaus, vor allem als Endstation für Maßnahmen-Karriere, aber auch als Druckpotenzial in Alltagskonflikten.
Zugleich scheinen die wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse und fachlichen Überzeugungen, die prinzipiell gegen diese Form der gewaltförmigen Erziehung sprechen, zu verdämmern.
Unter neuen und sanfteren Etiketten werden zunehmend Zwang und Gewalt in der Erziehungshilfe legitimiert, etwa durch den Arbeitskreis Geschlossene Unterbringung 14+, der sich ausdrücklich von der medialen und politischen Thematisierung und Legitimation dieser Pädagogik als Strafe abgrenzt. Vielmehr wird der Einschluss von Jugendlichen offensiv pädagogisch vertreten als spezifische Form der Jugendhilfe, die, rechtzeitig durchgeführt, Entwicklungschancen erhält und krisenhafte Lebenssituationen stabilisieren kann. .
Anders als 1980, als die geschlossene Unterbringung in Hamburg zum ersten Mal abgeschafft wurde, und auch anders als 2003 bei ihrer Wiedereinführung in einem auf Jugenddelinquenz ausgerichteten Wahlkampf, wird um die GU in zwei wesentlichen Arenen gestritten. Daher ist auf diesen beiden Ebenen über das Wegsperren zu diskutieren:
Erstens auf der politisch-medialen Ebene, die primär mit Sicherheits- und Strafbedürfnissen operiert und das Ende der Kuschelpädagogik fordert, wie sich jüngst an dem gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und fachlichen Argumente 2012 eingeführten Warnschussarrest zeigt (Höynk 2012). Zweitens auf der fachlichen Ebene, in der spätestens seit dem 11. Kinder- und Jugendbericht (2002) die Tabuisierung von Zwang und Einschluss überwunden sowie neu und offen diskutiert werden sollen, da Delinquenz von Kindern und Jugendlichen pädagogische Antworten provoziert, die eher etwas mit Erziehung, sozialer Kontrolle, Intervention beziehungsweise Eingriff, Grenzsetzung und Normverdeutlichung zu tun haben (ebd. 239).
Wir sind der Ansicht, dass es sich bei der Geschlossenen Unterbringung in erster Linie um einen Freiheitsentzug handelt, und wir sind daher weiter der Ansicht, dass der Freiheitsentzug die Probleme, die er lösen soll, im Gegenteil verschärft und sogar selbst schafft. Sicher, wer in die geschlossene Unterbringung eingewiesen wird, wird oft mehrerer Straftaten beschuldigt. Trotzdem ist es falsch, diese Kinder und Jugendlichen einzusperren. Freiheitsentzug löst die Probleme nicht, sondern konserviert und verschärft sie. Zwang provoziert Widerstand, Unfreiheit zerstört Vertrauen. Doch ohne Vertrauen können diese Jugendlichen ihr Verhalten nicht ändern. Und warum sollten sie denen vertrauen, die sie einsperren?
Die Aufgabe der Jugendhilfe ist Erziehung, nicht Bestrafung. Dabei muss pädagogisches Handeln darauf zielen, Probleme, die sich aus Zwangsverhältnissen ergeben, zu bearbeiten und zu bewältigen. Dazu gehören auch Konflikte und Auseinandersetzungen, keine Frage. Zum Problem wird Zwang in der Erziehung jedoch, wenn er mit Erziehung verwechselt wird und in Gewalt umschlägt. Es ist unsere professionelle Pflicht, diesen Umschlag zu verhindern. Denn dieser Umschlag führt zum bloßen Antrainieren von Wohlverhalten. Und das ist keine Erziehung. Ein Bericht aus der Haasenburg: Ich musste mal zwei Stunden stramm stehen im Zimmer. Dass nennen die Auszeit. Das dauert so lange, bis sie meinen, dass man wieder runtergekommen ist. Nur: Was man dafür tun muss, weiß man halt nicht.
Was also tun? Wir wissen, wie schwer und auch wie undankbar die Aufgabe sein kann, mit besonderen Jugendlichen umzugehen. Und dazu stehen die betreffenden Einrichtungen noch in dem hellen Licht der Öffentlichkeit, die jede Hilfe ganz genau beäugen. Diese herausfordernde Arbeit sollte daher nach unserer Ansicht niemand allein tun, ohne Rückendeckung, ohne Unterstützung, ohne flankierende Hilfe. Unser Vorschlag lautet daher, einen Kooperations-Pool einzurichten:
Erfahrene Mitarbeitende der Hamburger Jugendhilfeeinrichtungen bündeln ihr Know-how künftig in diesem Kooperations-Pool. Die wenigen besonders Schwierigen werden hierher gemeldet, und die Expert_innengruppe entwickelt einen passenden Umgang: Gibt es Erzieher_innen, die schon einmal mit einem ähnlichen Fall zu tun hatten? Gibt es eine Wohneinrichtung, deren Zielsetzung auf diese Jugendlichen besonders passt? Können zwei Pädagog_innen aus unterschiedlichen Einrichtungen zusammengebracht werden, um für einen bestimmten Zeitraum zu kooperieren? Es gibt durchaus Ideen, die an die vielfältigen Erfahrungen und Konzepte der vergangenen 30 Jahre anknüpfen, um Alternativen zur geschlossenen Unterbringung und zur Heimerziehung traditioneller Art überhaupt zu realisieren. Die Mobile Betreuung ist Ende der siebziger Jahre als Alternative zur geschlossenen Unterbringung entstanden, die flexible Betreuung und die ambulant betreuten Einzelhilfen der achtziger Jahre sind dafür ebenso Belege wie die umfangreiche Evaluation zu den ambulant intensiven Betreuungsmaßnahmen.
Es gibt sie also, die Alternativen. Wenn wir wollen, können wir sie gleich morgen erproben.