Christiane Blömeke (GAL): Erste Ergebnisse Akteneinsicht geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße (GUF)

2. März 2005

Geprüft wurde der Zeitraum von der Eröffnung der Feuerbergstraße im Januar 2003 bis zum 11. Februar 2005. Die Akten weisen an verschiedenen Stellen Lücken auf oder sind nur in Kopie vorhanden.

Die Akteneinsicht belegt eine deutliche Zunahme kritischer Situationen und unhaltbarer Zustände in der GUF, für die die zuständige Senatorin die politische Verantwortung trägt und die aus Sicht der GAL das Scheitern des Konzeptes belegen:

  1. Zunahme der Gewaltbereitschaft von betreuten Jugendlichen gegenüber den Mitarbeitern der Einrichtung und zunehmend auch zwischen den Jugendlichen. Die Art der Übergriffe reichen von Beleidigungen über Ehrverletzungen, physischen Angriffen, Widersetzen gegen Einrichtungsregeln, Spucken, Schlagen, Treten, Körperverletzung unter Zuhilfenahme von Gegenständen, die als Waffen verwendet werden, Nötigung bis hin zur Erpressung einer Freilassung.
  2. Personalmangel und Gefährdung der Mitarbeiter: Es herrscht chronischer Personalmangel, qualifizierte Mitarbeiter verlassen die Einrichtung oder bitten um Versetzung. Verschiedene Aussagen belegen eine ständige Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter. Das Personal befindet sich nach eigenen Aussagen am Rande der Belastungsgrenze. Diese Situation wird auf das Konzept und die Rahmenbedingungen zurückgeführt.
  3. Sicherheitsdienst: Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes werden für Tätigkeiten eingesetzt, die weder ihrem Auftrag, noch ihrer Qualifikation entsprechen. Sie übernehmen quasi Betreuungsaufgaben. Als Ursache für diese Einsätze wird der Personalmangel angeführt.

Fazit:

  • Die geschlossene Einrichtung Feuerbergstraße hilft den Jugendlichen nicht, sondern verstärkt das aggressive Verhalten der Jugendlichen.
  • Sie schützt die Jugendlichen nicht vor sich selbst, sondern führt zu Verzweiflungstaten der Jugendlichen, die auch in Form von Selbstmordversuchen und Selbstgefährdungen auftreten.
  • Die GUF leistet keinen Beitrag zur öffentlichen Sicherung, da trotz zahlreicher baulicher Maßnahmen die Jugendlichen dennoch entweichen oder weglaufen.
  • Die GUF verschlingt große Summen an Geld, das an anderer Stelle der Hilfen zur Erziehung fehlt ohne sichtbaren Erfolg.
  • Eine pädagogische Arbeit ist unter den konzeptionellen Bedingungen der GUF nicht mehr zu leisten. Das quittieren zahlreich Mitarbeiter mit einer Auflösung ihres Arbeitsvertrages.
  • Zur Kompensation der entstandenen Personallücken werden Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma (Securitas) hinzugezogen. Durch dieses Vorgehen ist fraglich, ob die GUF überhaupt noch als Jugendhilfeeinrichtung gesehen werden kann.

Aus diesem Grund fordert die GAL die Senatorin Schnieber Jastram erneut auf politische Verantwortung zu übernehmen und das starre Festhalten an dem Konzept der GUF aufzugeben. Es ist unerlässlich alternative Konzepte anstelle der GUF zu entwickeln. Nachbarländer, wie Schleswig Holstein haben da schon gut Vorarbeit geleistet.

1. Übergriffe von Jugendlichen gegenüber den Betreuern

Die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen gegenüber ihren Erziehern/Betreuern ist im Jahr 2004 sprunghaft angestiegen. Das Jahr 2005 verzeichnet für die ersten 5 Wochen eine noch höhere Anzahl an Gewalttaten, so dass eine steigende Tendenz in diesem Jahr ebenfalls nicht auszuschließen ist.

Fakten:

  • Jahr 2003 – 5 Meldungen von Angriffen auf Mitarbeiter der GUF
  • Jahr 2004 – 40 Meldungen von Angriffen auf Mitarbeiter der GUF (8x so hoch, wie 2003)
  • Jahr 2005 (erste 6 Wochen des Jahres) – 6 Meldungen von Angriffen auf MA der GUF

Die Gewaltausbrüche der Jugendlichen richten sich nicht nur gegen das pädagogische Personal, sondern auch gegen die Mitarbeiter des Securitas-Sicherheitsdienstes. Auch hier zeigt sich eine zunehmende Tendenz. Während im Jahr 2003 der Sicherheitsdienst noch zurückhaltender eingesetzt wurde und keinerlei Übergriffe gegenüber den Mitarbeitern von Securitas zu verzeichnen sind, gibt es im Jahr 2004 analog zur Ausweitung des Einsatzes im Tagesdienst, rund 7 Vorfälle. Für den Zeitraum vom 1.01.05 -11.02.05 gibt es bereits 2 Vorfälle.

2. Gewalt unter Jugendlichen

Neben den besonderen Vorkommnissen, die direkte Übergriffe auf die Betreuer beschreiben, ist in der GUF auch eine zunehmende Tendenz von Auseinandersetzungen mit körperlicher Gewalt unter den Jugendlichen zu beobachten.

Auffällig ist, dass in den ersten 9 Monaten des Betriebes der GU kein Vorfall dieser Art zu verzeichnen war. Erst ab September 2003 gibt es Fälle, in denen die Jugendlichen untereinander in nennenswerter Weise Gewalt anwenden. Dann allerdings nimmt die Anzahl zu.

  • 2003 – 7 Vorfälle (ab September 2003)
  • 2004 – 18 Vorfälle (gegenüber 2003 eine knappe Verdreifachung)
  • 2005 (6 Wochen) – 8 Vorfälle

Herausragend sind hier die ersten Wochen des Jahres 2005. Wenn diese Tendenz sich so vorsetzen würde, dann gäbe es rein rechnerisch am Ende des Jahres 2005 rund 64 Vorfälle von Gewalt unter den jugendlichen Betreuten.

3. Konsequenzen aus den Übergriffen der Jugendlichen – Dienstanweisung zum Einsatz physischer Mittel in Gefahrensituationen

Zur Regelung der Konsequenzen, die aus den Übergriffen erfolgen, wurde eine Dienstvorschrift erstellt, die aus Notwehrgründen eine kurzzeitige Fixierung der Jugendlichen erlaubt. Zu dem Zweck soll der betreute Jugendliche “geordnet zu Boden gebracht werden” und solange fixiert werden, bis er sich beruhigt. Tritt keine Beruhigung ein, dann sind Fesseln aus Klettbändern erlaubt.

Fakten:

  • Jahr 2003- 3 Fixierungen
  • Jahr 2004 – 28 Fixierungen (7x so hoch, wie 2003) (davon 16 durch “Bodenkontakt” der Jugendlichen. In zwei Fällen kam es zu Fesselungen mit Klettbändern.
  • Jahr 2005 – 4 Fixierungen, davon 2x unter Verwendung von Klettfesseln.

Auch bei den Gefahrensituationen, die sich aus körperlichen Auseinandersetzungen unter den Jugendlichen ergeben, werden zur Deeskalation u.a. physische Mittel eingesetzt (Bodenkontakt, Fixierungen, Klettfesseln).

  • Jahr 2003 – 3 Fixierungen
  • Jahr 2004 – 3 Fixierungen
  • Jahr 2005 (erste 6 Wochen) – 3 Fixierungen (davon 1x mit Klettbändern). Somit ist im Jahr 2005 bereits dieselbe Anzahl an Fixierungen vorgenommen worden, wie jährlich in den vergangenen Jahren.

Bewertung:

In der GUF ist ein starker Anstieg an Gewalttaten zu verzeichnen, die sich sowohl gegen die Betreuer richten, als sich auch in zunehmenden Auseinandersetzungen unter den Jugendlichen bemerkbar machen. Der Grund hierfür ist in dem Konzept der GUF zu suchen, das als oberste Priorität für die GUF-Mitarbeiter das “Halten der Jugendlichen in der Einrichtung” benennt und dazu die Bedingungen von Geschlossenheit verwendet. Durch diese Geschlossenheit entsteht ein zunehmender Druck nach innen. Die technischen Sicherheitsmaßnahmen, sowie die Maßnahmen zur Gefahrenabwendung und die unzureichende räumliche Situation (siehe Ausstattung) verstärken diesen Druck, insbesondere bei erhöhter Anzahl von zu betreuenden Jugendlichen.

4. Nicht nur Jugendliche flüchten aus der GUF, sondern auch die Mitarbeiter sind massiv gefährdet

Die sozialpädagogische Arbeit in der Einrichtung ist mit einem hohen Maß an Gefährdung der MitarbeiterInnen verbunden. Die MitarbeiterInnen geben an, sich am Rande ihrer Belastungsgrenze zu fühlen. Es kommt zu seelischen und körperlichen Belastungssituationen. In der Folge kommt es zu einer erheblichen Personalfluktuation (Zahlen ließen sich in den Akten nicht finden, werden nachgefragt). Gesuche um Versetzungen oder Kündigungen, Krankheiten oder Ausfälle durch Verletzungen sind an der Tagesordnung. Als Grund der Kündigungen wird immer wieder angegeben, dass bei dem konstant ansteigenden hohen Gewaltpegel keine pädagogische Arbeit möglich ist und das die entstehenden Gefahrensituationen konzeptionell bedingt sind.

Durch die immer wieder kehrenden zahlreichen Kündigungen, gibt es eine Unterversorgung mit pädagogischem Personal in der GUF. Nahezu durchgehend im letzten Jahr gab es wiederholt Stellenausschreibungen, die nicht zur Aufstockung der Personalstamms, sondern zum Füllen der Lücken dienten. Zum jetzigen Zeitpunkt sucht die GUF ebenfalls 2,5 MitarbeiterInnen.

5. Einsatz von Securitas Mitarbeitern

Zur Unterstützung und Entlastung der MitarbeiterInnen des LEB und um den Personalmangel (pädagogisches Personal) auszugleichen, wird zunehmend auf den Einsatz von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes zurückgegriffen.

Während öffentlich dargestellt wird, dass Securitas gezielt nur zur Unterstützung bei Gefahrensituationen gerufen wird oder zur Begleitung von Ausgängen (Arztbesuche etc.) nötig ist, ergibt die Akteneinsicht eine andere Sachlage.

Mitarbeiter von Securitas übernehmen hiernach auch Betreuungs- und Beschäftigungsaufgaben mit den Jugendlichen, wobei sie auch mit den Jugendlichen alleine gelassen werden und z.T. eigenmächtig Entscheidungen treffen. Das widerspricht eindeutig der Aufgabe, der Qualifikation dieser Mitarbeiter sowie dem geschlossenen Dienstleistungsvertrag.

Ein zusätzliches Sicherheitsrisiko entsteht dazu noch durch die Einsatzzeiten der Mitarbeiter, die bei Tageseinsätzen Schichten von 12 Stunden haben! Es ist geplant, einen regelmäßigen Tageseinsatz vertraglich zu vereinbaren.

Bewertung:

Aus Sicht der GAL ist dies ein Armutszeugnis für die zuständige Behörde. Es wird versuch, die Lücken des fehlerhaften und unzureichenden Konzeptes durch nicht in der Jugendarbeit qualifizierte Personen auszugelichen. Pädagogik bleibt auf der Strecke. Hilfe zur Erziehung wird Aufgabe von Sicherheitsdiensten!

Fakten:

  • Von Juli 2003 – Dezember 2004 kostete der Sicherheitsdienst 300.929 Euro, davon Zusatzstunden: 7.877 Euro.
  • Durchschnittlich kommen 7-10 Mitarbeiter 10 Stunden täglich zum Einsatz – die Nachtstunden ausgenommen, an denen regelhaft ein Securitas Mitarbeiter eingesetzt wird. Die Mitarbeiter des Securitas-Dienstes sind als U- Bahnwachen ausgebildet. Sie besitzen keinerlei Qualifikationen in der Jugendhilfe.

6. Entweichungen

Dieser mangelhaften Zustände in der GUF versuchen sich die Jugendlichen durch Entweichungen zu entziehen. Dabei sind sie in ihren Fluchtmöglichkeiten sehr erfinderisch. Neben dem Überwinden von baulichen Sicherheitsmaßnahmen, kommt es auch zu Entweichungen in Form von “Weglaufen” aus verschiedenen Situationen heraus (Arztbesuch, Wegbringen von Müll und Geschirr etc). Die Anzahl der Entweichungen (auch Weglaufen) ist im Jahr 2003/2004 nahezu gleich geblieben.

Fakten:

  • Jahr 2003: 6 Entweichungen (z.T. mit mehreren Personen) und 4 x Weglaufen
  • Jahr 2004: 4 Entweichungen (z.T. mit mehreren Personen) und 7x Weglaufen
  • Jahr 2005 (6 Wochen): eine Entweichung.

Nicht mit bewertet wurden die Ausgänge, auf denen Jugendliche nicht zurückgekehrt sind.

Bewertung:

Trotz massiver baulicher Veränderungen (Erhöhung der Zäune, durchbruchhemmende Fenster, Verbesserung der Schließanlage, Installation einer Videoüberwachung etc) gelingt den Jugendlichen immer wieder die Flucht. Es zeigt sich deutlich, dass das Sicherheitskonzept der Einrichtung nicht dem Druck gewachsen ist, der die Jugendlichen zum Ausbruch oder zum Weglaufen drängt. Eine Beziehungsarbeit zwischen den Jugendlichen und den Betreuern scheint nicht ausreichend hergestellt zu sein. Das Konzept der GUF verstärkt den Druck auf die Jugendlichen, Auswege zu finden. Hierbei werden auch selbstgefährdende Handlungen von Jugendlichen begonnen, die bis zum Selbstmordversuch reichen. Häufig soll mit diesen selbstgefährdenden Handlungen eine Beendigung der Betreuung in der GU erzielt werden.

Fakten (Jahr 2004):

  • 4 Selbstmordversuche
  • 6 angedrohte Selbstmordversuche
  • 11 Selbstverletzungen

7. Zusammenarbeit FIT – GUF

Die Aktenlage bestätigt, die von uns bereits in der letzten Woche geäußerten Zweifel an einer zufriedenstellenden Zusammenarbeit zwischen dem FIT und dem LEB/GUF, sowie die unzureichende Aufstellung der Hilfepläne für die Jugendlichen.

  • Die Zusammenarbeit mit dem FIT zur Aufnahme von Jugendlichen ist mangelhaft. In einem bekannten Fall kam es zur Entscheidung gegen das Votum der GUF/LEB und damit zu einer höchst problematischen Aufnahme. Es ist von Fehlbelegungen die Rede.
  • Vorbereitende Aufnahme- und Hilfeplangespräche finden nur ungenügend und nicht in jedem Fall statt. Die Mitarbeiter der GUF nur unzureichend über die Vorgeschichte der Jugendlichen informiert. In einem Fall kam es deswegen zu einer erheblichen Fehlbelegung, weil zwei Jugendliche einer delinquenten Gruppe gemeinsam in der GUF untergebracht wurden.

Als Konsequenz wurde eine Dienstanweisung erarbeitet, die das Verfahren der Zusammenarbeit regelt. Über die Eignung der Maßnahmen entscheidet weiterhin das FIT.

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